
Laut dem Yogacara besteht das achte Bewusstsein aus "Samenkörnern". Erfahre hier, was es damit auf sich hat und warum die Samenkörner ein im Buddhismus sehr wichtiges Konzept sind.
Einfach ausgedrückt, sind Samenkörner Potenziale. Ihre Gesamtheit bildet die tiefste Ebene des Unterbewusstseins (das achte Bewusstsein, siehe entsprechender Artikel) und sie sind das Ergebnis all dessen, was wir jemals erlebt haben. Die anderen sieben Bewusstseinsarten interagieren mit ihnen und "parfümieren" sie (so nennt es die Cheng Wei Shi Lun, eine Yogacara-Kernschrift). Das bedeutet, dass das, was wir denken, sagen und tun, ein Samenkorn entweder wachsen oder verkrüppeln, tugendhaft oder amoralisch werden lässt, usw. Ein Same, der genährt wird, kann reifen und Früchte tragen, und diese manifestieren sich wiederum in Form von Gedanken, Worten und Taten, usw. Samenkörner und ihre Früchte koexistieren also und beeinflussen sich wechselseitig. Und das ist genau das Rädchen, an dem wir drehen können, um unsere erlebte Realität positiv zu verändern; indem wir durch das Üben des achtfachen Pfades Liebe, Weisheit und Achtsamkeit kultivieren und dadurch Samenkörner nähren, die positive Früchte tragen.
Die Cheng Wei Shi Lun unterscheidet verschiedene Arten von Samenkörnern:
1) Ur-Samen: Von den sogenannten "ursprünglichen Samen" wird gesagt, dass sie schon immer da sind und dass sie völlig rein sind, also mit keinerlei akusala (negativen) Gemütszuständen verbunden. Aus diesem Grund sagt man, dass sie von Natur aus tugendhaft sind (mehr dazu im Artikel "Gefühle: Kusala und Akusala"). Diese "Ur-Samen" sind unser Potenzial, erleuchtet zu werden; sie können jedoch nicht von selbst wachsen und müssen genährt werden. Das tun Buddhisten, indem sie den Edlen Achtfachen Pfad (ein Rahmenwerk für moralisch gutes Verhalten) praktizieren.
2) Parfümierte Samen: Die zweite Art von Samenkörnern war nicht schon immer da, sondern wird durch den oben beschriebenen Prozess des "Parfümierens" erzeugt. Das sind die Samen, die durch das, was wir denken, sagen und tun, entstehen, sowie dadurch, dass wir die Konsequenzen unseres Handelns erleben. Diese Samenkörner können zu verschiedenen Zeiten Früchte tragen, manchmal sofort, manchmal aber auch erst später in der Zukunft. Das ist, was mit "Karma" gemeint ist.
3) Form- und geistige Samen: Manche Samen manifestieren sich in physischer Form; man könnte sich zum Beispiel die genetischen Allele, die jeder von Vater und Mutter erhält, als solche Samenkörner vorstellen (in den buddhistischen Schriften ist natürlich nicht von Genetik die Rede, sondern von "inneren Samen der vier Elemente" (Erde, Wasser, Feuer, Wind), die wir alle in uns tragen und die sich bei der Geburt als unser physischer Körper manifestieren). Andere sind rein geistig. Und obwohl Formsamen nur Formsamen und geistige Samen nur geistige Samen hervorbringen können, können sie sich doch gegenseitig beeinflussen; man denke zum Beispiel an einen Künstler, der sich ein Meisterwerk zuerst im Geiste vorstellt und dann zu Pinsel und Leinwand greift, um es "zum Leben" zu erwecken!
4) Gemeinsame Samen: Wenn also jeder von uns sich aus seinem individuellen Fundus an Samenkörnern eine eigene Realität schafft, wie kommt es dann, dass es Dinge gibt, die nicht nur eine Person sieht, sondern alle Menschen, wie zum Beispiel Berge, Flüsse und den Eiffelturm? Das liegt daran, dass es noch eine weitere Kategorie von Samenkörnern gibt, die "gemeinsame Samen" genannt wird. Das bedeutet, dass die Mitglieder einer Gruppe von Lebewesen, z. B. Menschen, in vielerlei Hinsicht ähnlich denken und sich ähnlich verhalten, so dass die mentalen Bilder, die sie erzeugen, einander ähneln. Laut der Cheng Wei Shi Lun manifestieren Lebewesen das Land, in dem sie leben, entsprechend ihres spirituellen Niveaus (Beispiel Umweltzerstörung durch den Menschen! Was das wohl über unser spirituelles Niveau aussagen mag...?). Und obwohl wir tatsächlich alle Flüsse, Berge, den Eiffelturm und andere Dinge sehen, die aus "Formsamen" generiert wurden, wird unser Erleben dieser Objekte dennoch unterschiedlich sein, so dass man nicht wirklich von einer "objektiv gemeinsamen Welt" außerhalb des Bewusstseins sprechen kann.
Doch ganz gleich, welche Art von Samen, sie folgen immer dem Prinzip von Ursache und Wirkung. Kein Samenkorn entsteht "aus dem Nichts". Das ist es, was unserer Existenz Kontinuität verleiht; der kontinuierliche Strom von Samenkörnern, der sich zum Beispiel in Form eines menschlichen Bewusstseins manifestiert, lässt uns aufwachsen und alt werden, aber es wird nie ein Samenkorn geben, das uns plötzlich auf magische Weise in einen Elefanten verwandelt. Ebensowenig wird es ein magisches Samenkorn geben, das eine Angststörung oder eine Suchtkrankheit auf der Stelle verschwinden lässt. Aber Samen sind in der Tat nicht nur die Ursache, sondern auch das potenzielle Heilmittel für seelische Probleme; es hängt nur davon ab, welche wir nähren und welche Samen wir am aufkeimen hindern.